Carsten Niebuhrs stambog

Dieter Lohmeier, Stig T. Rasmussen

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    Abstract

    NB: Artikeln er på dansk, kun resuméet er på tysk.
    Stammbücher waren im 18. Jahrhundert ein fester Bestandteil des studentischen Brauchtums. Es waren Bücher im Queroktavformat, in denen Studenten Eintragungen ihrer Professoren und vor allem ihrer akademischen Freunde sammelten, wenn sie selbst oder diese die gemeinsam besuchte Universität verließen. Die Eintragungen waren stark formalisiert: Wer sich eintrug, hatte eine Seite zur Verfügung, schrieb ein Zitat aus der klassischen oder der modernen europäischen Literatur mit einer moralischen Botschaft oder einer Aufforderung zum Genuß der Jugendfreuden ein, beteuerte seine Freundschaft mit dem Besitzer des Stammbuchs und fügte das Datum, seinen Namen, seine Herkunft und sein Studienfach hinzu − dies beides in den abgekürzten Formen, die auch in den Universitätsmatrikeln üblich waren. Stammbücher sind deshalb als biographische Quellen gute Ergänzungen zu den Matrikeln, da sie dokumentieren, mit wem wann und wo der Besitzer zusammengetroffen ist. Mehr Informationen geben sie allerdings in der Regel auch nicht her. Niebuhr hat sich sein Stammbuch bald nach dem Beginn seines Studiums in Göttingen 1757 zugelegt und hat dort bis zum 1. Oktober 1760, unmittelbar vor seiner Abreise nach Kopenhagen, über 100 Eintragungen gesammelt. Sie stammen ausschließlich von Studenten. Professoren haben sich nicht eingetragen, auch nicht diejenigen, die Niebuhr nachweislich gut kannte, weil sie ihm den Weg zur Teilnahme an der Arabischen Reise ebneten. Berühmt gewordene Kommilitonen hatte Niebuhr nicht, doch findet man Eintragungen seiner guten Freunde Gregorius Wiedemann aus Kopenhagen und Johann Sibberns aus dem Lande Wursten, der wie Niebuhr Ingenieuroffizier wurde und hauptsächlich bei der kurhannoverschen Landesaufnahme als Landmesser tätig war. Eintragungen aus den letzten Monaten vor der Abreise aus Göttingen deuten darauf hin, daß Niebuhr damals bewußt Verbindungen mit Studenten aus dem dänischen Gesamtstaat und ihren Hofmeistern pflegte. Bis 1760 ist Niebuhrs Stammbuch ein typisches Studentenstammbuch. Ungewöhnlich wird es erst dadurch, daß Niebuhr es auf die Arabische Reise mitnimmt und bis zu seiner Rückkehr nach Kopenhagen benutzt. Zunächst denkt und handelt er dabei anscheinend noch ganz in den Bahnen des studentischen Brauchtums, denn er sammelt weder Eintragungen von den Hofleuten und Beamten, mit denen er in Kopenhagen umgeht, noch solche von dem dänischen Gesandten in Konstantinopel und dessen Personal. Aber ganz allmählich wird dann aus dem Stammbuch ein Sammel- und Notizbuch und damit eine ergänzende Quelle zur Arabischen Reise 1761-1767. Niebuhr sammelt Schriftproben orientalischer und indischer Sprachen, Namenlisten von unterschiedlichen Gruppen, denen er unterwegs begegnet: europäische Konsuln und Kaufleute in Ägypten, englische Schiffskapitäne, die 1763nach Moccha kommen, Franzosen in der indischen Handelsstadt Surat oder Freunde in Basra. Schließlich beginnt er auf dem Rückweg zu notieren, wen er kennengelernt hat und wer ihm Grüße nach Europa mitgegeben oder ihn gebeten hat, dort Verwandte von ihrem Schicksal zu unterrichten. Dazu kommen dann auch Eintragungen von Männern aus unterschiedlichen Gesellschaftskreisen jenseits der Universitäten: von katholischen Mönchen und Missionaren, von einem Verwandten Jean-Jacques Rousseaus, der in Persien lebt, oder von den europäischen Kaufleuten in Aleppo, unter denen Niebuhr sich nach der langen einsamen Reise durch das Zweistromland sehr wohl gefühlt hat. Von den orientalistischen Sprach- und Schriftproben, die alle einzeln besprochen werden, seien nur drei erwähnt, in denen sich spiegelt, wie weit sich Niebuhrs Erfahrungshorizont durch die Arabische Reise über das soziale Umfeld der üblichen Studentenstammbücher hinaus öffnete. Ein Gelehrter namens Awadh ibn Abd Allah (der − namenlos − auch in Niebuhrs „Reisebeschreibung“ erwähnt ist) bezeugt in arabischer Schrift und Sprache, daß sich fünf namentlich genannte Männer aus Dänemark im Frühjahr 1763in Bayt al-Faqîh im Jemen aufgehalten haben und daß daraus eine nahe Bekanntschaft geworden ist. Ein Blatt in persischer Sprache hält fest, daß während der Regierungszeit von „Gottes Diener Muhammad Karim Khan Zand“ der dänischen Mathematiker Dr. Niebuhr im Frühjahr 1765 in Schiraz angekommen, von dort aus nach Persepolis gereist ist, wo er „viele Zeichnungen von Bildern und Texten, sowohl islamischen als auch nicht-islamischen“ ausgeführt hat, und dann von Schiraz nach Bûshehr zurückgekehrt ist. Bemerkenswert ist schließlich ein osmanisch-türkischer Text, den der von irisch-griechischen Eltern in Konstantinopel geborene, in Wien orientalistisch geschulte und dann in der österreichischen Gesandtschaft in Konstantinopel als Dolmetscher tätige Thomas Herbert Rathkeal 1767 geschrieben und zugleich ins Französische übersetzt hat. Er faßt lapidar die Arabische Reise zusammen und ist als Denkmal zu Ehren der Verdienste Niebuhrs in sein Stammbuch eingetragen.
    Original languageDanish
    JournalDenmark. Kongelige Bibliotek. Fund og Forskning
    Volume49
    Pages (from-to)103-133
    Number of pages31
    ISSN0069-9896
    Publication statusPublished - 2010

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